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Studie ermittelt für 2023 Rekord-Wohnungsdefizit: Über 700.000 Wohnungen fehlen

Um neue Sozialwohnungsnot zu bremsen: Sondervermögen von 50 Mrd. Euro gefordert

Ein Bündnis aus Mieterbund, Baugewerkschaft, Sozial- und Branchen-Verbänden der Bauwirtschaft hat heute vor einer „neuen und in ihrer Dimension beängstigenden Sozialwohnungsnot“ in diesem Jahr gewarnt. Hintergrund ist eine Wohnungsbau-Studie, die das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ beim Pestel-Institut (Hannover) und beim Bauforschungsinstitut ARGE (Kiel) in Auftrag gegeben hat. Als Reaktion auf die Ergebnisse der Untersuchung fordert das Bündnis den Bund und die Länder zu einer gemeinsamen „Sozialwohnungsbau-Offensive“ auf. Der Staat müsse dringend ein Sondervermögen „Soziales Wohnen“ schaffen. Erforderlich seien hierfür in einem ersten Schritt 50 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025.

Nur so könne es gelingen, bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode den Neubau von 380.000 Sozialwohnungen noch zu schaffen, so das Bündnis „Soziales Wohnen“. Nach einem „gescheiterten Sozialwohnungsbau-Jahr 2022“, in dem nur rund 20.000 Sozialwohnungen neu gebaut wurden, würde die Ampel-Koalition damit ihr Versprechen von 400.000 neuen Sozialwohnungen überhaupt noch halten können. Dazu notwendig sei allerdings, dass der Bund – auf der Grundlage seiner Finanzierungsvereinbarung mit den Ländern – den Großteil des Sondervermögens bereitstelle: Er müsse gut Dreiviertel der Summe – nämlich mindestens 38,5 Milliarden Euro – aufbringen. Und das möglichst rasch. Ziel des Sonderfonds müsse es sein, „den zu erwartenden Kollaps auf dem sozialen Wohnungsmarkt abzuwenden“, erklärte das Bündnis „Soziales Wohnen“ am Donnerstagmorgen auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Das Bündnis verfolgt das Ziel, den sozialen Wohnungsbau deutlich zu beleben. Die Maßgabe dabei: „Vorfahrt für den sozialen Wohnungsbau“. Denn es komme jetzt darauf an, zu verhindern, dass der Neubau von Sozialwohnungen „im Krisenjahr 2023 völlig auf der Strecke bleibt“. Deshalb fordert das Bündnis auch die Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent für den sozialen Wohnungsbau. Ebenso eine deutlich raschere Bearbeitung von Förderanträgen. Hier müsse dringend ein „Bürokratiebeschleuniger“ eingebaut werden. Vorbild dabei sei das Land Schleswig-Holstein, wo die Bearbeitung eines Förderantrags für den Bau von Sozialwohnungen in der Regel nicht länger als vier Wochen dauere.

Darüber hinaus sollen Baurecht und Bebauungspläne den sozialen Wohnungsbau künftig stärker in den Fokus rücken: Ziel müsse es sei, den Bau von Sozialwohnungen deutlich zu erleichtern. Hierzu soll auch ein Sonderprogramm beitragen, das ein Switchen vom regulären Mietwohnungsbau zum sozialen Wohnungsbau unterstützt: Aus geplanten, aber noch nicht fertig gebauten Wohnhäusern sollen dabei geförderte Sozialwohnungen entstehen. Damit soll der Trend gestoppt werden, dass Bauprojekte in der Krise aus finanziellen Gründen immer häufiger komplett auf Eis gelegt werden. Und es müsse bundesweit in allen Kommunen „Wohn-Härtefallkommissionen“ geben. Diese würden dann, so das Bündnis, über ein 10-Prozent-Kontingent der zu vergebenen Sozialwohnungen entscheiden und gezielt benachteiligte Bevölkerungsgruppen bei der Wohnungsvergabe berücksichtigen.
 

Aktuelle Studie: „Bauen und Wohnen in der Krise“

Auf der Pressekonferenz stellte das Bündnis eine neue Wohnungsbau-Studie vor: „Bauen und Wohnen in der Krise“ – so der Titel der Untersuchung des Pestel-Instituts (Hannover) und des schleswig-holsteinischen Bauforschungsinstituts ARGE (Kiel). Im Fokus dabei: eine Krisen-Prognose für den sozialen Wohnungsmarkt in diesem Jahr. „Das Urteil der Wissenschaftler ist ein ‚Alarmruf Wohnungsnot‘ an die Politik“, so das Bündnis „Soziales Wohnen“, das die Studie in Auftrag gegeben hatte.
 

Rekord-Wohnungsmangel

Das Pestel-Institut geht von einer erheblichen Zunahme der Bevölkerung aus: Für das vergangene Jahr ergebe die Bilanz der Zu- und Abwanderung ein Plus von rund 1,5 Millionen Menschen, die zusätzlich in Deutschland leben (Wanderungsgewinn). „Wir haben damit eine absolute Rekord-Zuwanderung – mehr als im bisherigen Rekord-Flüchtlingsjahr 2015. Die Lage spitzt sich dramatisch zu. Denn wer nach Deutschland flüchtet und bleibt, ist auf den sozialen Wohnungsmarkt angewiesen. Oder anders gesagt: Wir werden in diesem Jahr einen Rekord-Wohnungsmangel bekommen – mit über 700.000 fehlenden Wohnungen das größte Wohnungsdefizit seit mehr als zwanzig Jahren. Bei den bezahlbaren Wohnungen wird das ohnehin schon massive Versorgungsloch immer größer; bei den Sozialwohnungen ist es längst ein Krater“, sagt Matthias Günther. Der Leiter des Pestel-Instituts spricht von einem „neuen Notstand beim Wohnen“.
 

Förderung auf völlig neue Füße stellen

Für das Pestel-Institut ist klar: „Das wohnungsbaupolitische Ziel der Bundesregierung, pro Jahr 400.000 Wohnungen – jede Vierte davon eine Sozialwohnung – neu zu bauen, ist gut kalkuliert“, so Günther. Allerdings müssten sich Bund und Länder beeilen, mehr Neubau möglich zu machen: In der Inflation, mit steigenden Zinsen, veränderten Energie- und Rohstoffmärkten, eingeschränkten Produktions- und Produktangeboten werde es höchste Zeit, dass der Staat neue Rahmenbedingungen schaffe, um den Wohnungsbau – und hier insbesondere den Bau von Sozialwohnungen – zu unterstützen.

„Die Förderung für den sozialen Wohnungsbau muss auf völlig neue Füße gestellt werden, wenn sie einen Effekt haben soll. Hier rächt sich, dass der Staat den Bau von Sozialwohnungen seit Jahren extrem vernachlässigt hat. So bitter es ist, jetzt gilt: Wer zu spät fördert, zahlt drauf“, sagt Prof. Dietmar Walberg.
 

„Dramatischer Kostensprung“: Kein frei finanzierter Mietwohnungsbau möglich

Der ARGE-Institutsleiter nennt dazu aktuelle Baukosten, die sein Institut ermittelt hat: „Der Neubau einer Mietwohnung kostet in einer Großstadt heute im Schnitt nahezu 3.980 Euro pro Quadratmeter. Dazu kommen noch einmal umgelegte Kosten von gut 880 Euro für das Grundstück. Zusammen macht das fast 4.900 Euro für einen Quadratmeter Wohnfläche im Mietwohnungsbau. Damit haben wir uns deutlich aus dem Bereich geschossen, der den freifinanzierten Neubau überhaupt noch möglich macht.“ In den letzten zwanzig Jahren habe es beim Wohnungsneubau einen „dramatischen Kostensprung“ gegeben. Bis zur Mitte dieses Jahres werden die Kosten beim Neubau mit einer Steigerung von 148 Prozent nahezu zweieinhalb Mal so hoch sein wie noch im Jahr 2000, so die Prognose von Prof. Walberg.
 

Je nach „Klima-Gewissen“: Sozialwohnungen kosten Staat zwischen 12,6 und 14,9 Mrd.

Vor allem mit Blick auf die aktuelle Kostenentwicklung müsse der Staat jetzt reagieren, fordert das Bündnis „Soziales Wohnen“. Pestel-Institutsleiter Matthias Günther hat dazu die Berechnung gemacht: „Die notwendige staatliche Subvention für den Neubau einer durchschnittlichen Sozialwohnung von 60 Quadratmetern liegt bei 126.000 Euro, wenn nach den aktuell geltenden Energiespar-Standards gebaut wird.“ Um sein Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen zu erreichen, müsse der Staat diese also mit 12,6 Milliarden Euro pro Jahr fördern.

Entscheidend sei grundsätzlich, wie viel der Klimaschutz dem Staat beim Neubau wert sei. Vor allem der Bund, aber auch die Länder müssten ansonsten auch bereit sein, noch tiefer in die Tasche zu greifen: So mache der maximale Klimaschutz bei Wohngebäuden (Effizienzhaus 40) sogar eine staatliche Förderung von 14,9 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich.

Damit kommen die Wissenschaftler vom Hannoveraner Pestel-Institut und von der ARGE in Kiel zu dem Ergebnis, dass der Staat für das vom Bündnis „Soziales Wohnen“ geforderte Sondervermögen für den noch notwendigen Neubau von 380.000 Sozialwohnungen bis 2025 – und damit für das Ampel-Ziel beim sozialen Wohnungsbau – ein Volumen von 50 Milliarden Euro bereitstellen müsste.

Das Geld sei dringend notwendig und gut investiert. Denn auf dem Wohnungsmarkt spiele sich schon jetzt ein „soziales Drama“ ab, so das Bündnis „Soziales Wohnen“. Mehr als 11 Millionen Mieterhaushalte hätten in Deutschland einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) – und damit auf eine Sozialwohnung. Aber nur für jeden Zehnten davon gebe es eine Sozialwohnung. Das sei eine „bittere 1:10-Chance – Tendenz: fallend“. In den letzten Jahrzehnten sei „bei den Sozialwohnungen vieles ins Rutschen gekommen“: Ende der 1980er-Jahre habe es noch rund vier Millionen Sozialwohnungen gegeben – allein im Westen. Heute seien es bundesweit nur noch rund 1,1 Millionen. Während im Jahr 1987 auf 100 Mieterhaushalte 25 Sozialwohnungen kamen, ist diese Zahl aktuell auf fünf zurückgegangen.
 

Länder-Ranking: Hamburg ist „Musterland des sozialen Wohnungsbaus“

„Die Ampel muss in ihrem ersten Regierungsjahr hinnehmen, dass wohl nur jede fünfte politisch gewollte Sozialwohnung gebaut wurde. Dass sie 80.000 versprochene Sozialwohnungen in 2021 also schuldig geblieben ist“, so Matthias Günther. Die Länder sieht der Wissenschaftler allerdings auch in der Pflicht: Hier habe es eine „sehr unterschiedliche Bereitschaft und Unterstützung“ bei der Förderung des Neubaus von Sozialwohnungen gegeben. „Spitzenreiter und damit Musterland des sozialen Wohnungsbaus ist unbestritten Hamburg. Es folgen – immer bezogen auf die von den Ländern investierten Fördergelder – Bayern, Schleswig-Holstein, Berlin und Baden-Württemberg. Schlusslicht im Länder-Ranking ist das Saarland. Davor rangieren Bremen auf dem vorletzten und Mecklenburg-Vorpommern auf dem drittletzten Platz“, sagt Günther.

In dem Bündnis „Soziales Wohnen“ haben sich der Deutsche Mieterbund (DMB), die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) zusammengeschlossen. Bündnispartner sind darüber hinaus die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) als Dachverband der Mauersteinindustrie sowie der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB).
 

Mehr Informationen zur Studie „Bauen und Wohnen in der Krise“ unter:
www.bauen-und-wohnen-in-deutschland.de