Wir müssen weg von der Verschwendung und hin zu zirkulärer Verwendung!
Pro Jahr werden in Deutschland rund 400 Millionen Tonnen Abfall entsorgt. Mehr als die Hälfte ist Bauschutt. Aufgrund des anhaltenden Baubooms dürfte sich dieser Anteil in den nächsten Jahren weiter erhöhen. Viele Deponien stoßen bereits an ihre Kapazitätsgrenzen. Da rund die Hälfte der 1.108 Deponien 2025 das Ende ihrer Betriebsdauer erreicht haben, wird sich das Entsorgungsproblem weiter verschärfen. Im Interview erläutert Dipl.-Ing. Torsten Schoch, Geschäftsführer der Xella Technologie- und Forschungsgesellschaft mbH, warum am Cradle-to-Cradle-Ansatz kein Weg vorbeiführt und welchen Beitrag die Mauerwerksbranche zur Senkung des Ressourcenverbrauchs leistet.
Herr Schoch, ist unser lineares Wirtschaftssystem ein Auslaufmodell?
Torsten Schoch: Bereits heute ist der Gebäudesektor für 50 Prozent des Abfallaufkommens, 40 Prozent des Energieverbrauchs und 30 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Laut Prognosen der Vereinten Nationen wird die Zahl der Menschen, die in Städten leben, bis 2050 von aktuell 55 auf 75 Prozent ansteigen. Die gebaute Umwelt wird sich in Zukunft also noch deutlich vergrößern und damit auch der Energieverbrauch, CO2-Ausstoß sowie die Abfallmengen. Wenn wir die Klimaziele vor diesem Hintergrund trotzdem erreichen wollen, müssen wir den Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren. Dies ist nur durch den Umstieg in eine Kreislaufwirtschaft möglich, die auf geschlossenen Stoffkreisläufen, Abfallvermeidung und Regeneration basiert. Zudem hat sich die Entsorgung von Bauschutt in den letzten Jahren zu einem Kostenfaktor entwickelt, der die stetig steigenden Baupreise noch weiter in die Höhe treibt. Da Deponien und Recyclingfirmen komplett ausgelastet sind, haben sich die Entsorgungskosten für Bauschutt in den letzten Jahren deutlich verteuert. Je nachdem, was entsorgt werden muss, liegen die Kostensteigerungen zwischen 20 und 70 Prozent. Der Umstieg in eine Kreislaufwirtschaft ist also nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen sinnvoll.
Fast 80 Prozent der mineralischen Baustoffe werden bereits recycelt. Wenn man bedenkt, dass es bei Holzbaustoffen nur 25 Prozent sind, ist das doch eine hervorragende Quote?
Torsten Schoch: Auf den ersten Blick schon. Aber wenn wir ehrlich sind, ist vieles, was unter dem Label Recycling läuft, eigentlich ein Downcycling. Der Großteil mineralischer Recyclingbaustoffe wird als Füll- und Befestigungsmaterial im Straßen-, Wege- oder Landschaftsbau eingesetzt. Angesichts der wertvollen Ressourcen und der grauen Energie, die in mineralischen Baustoffen stecken, wäre es wesentlich nachhaltiger, Kalksandstein, Leichtbeton, Porenbeton und Ziegel am Ende des Lebenszyklus wieder für den Bau neuer Gebäude einzusetzen. Ziel der Mauerwerksindustrie ist es, den Verbrauch mineralischer Primärrohstoffe, der aktuell bei 550 Millionen Tonnen pro Jahr liegt, durch den verstärkten Einsatz qualitativ gleichwertiger Sekundärrohstoffe kontinuierlich zu reduzieren. Würde man die jährlich anfallenden 200 Millionen Tonnen mineralischer Abfälle zu 50 Prozent wieder in den Produktionsprozess einspeisen, wären wir einen großen Schritt weiter.
Bis zu welchem Anteil können Primärrohstoffe durch Sekundärrohstoffe aus Baustellen- oder Produktionsabfällen ersetzt werden?
Torsten Schoch: Dass der in den Werken anfallende Bruch und Verschnitt zerkleinert und als Zuschlagstoff wieder in den Produktionsprozess eingespeist wird, ist in der gesamten Mauerwerksbranche gelebte Recyclingpraxis. Je nach Steingattung liegt der Anteil an Sekundärrohstoffen zwischen 10 und 20 Prozent. Unsere Technologie- und Forschungsgesellschaft beschäftigt sich seit 2011 mit der Frage, wie sich der Anteil von Sekundärrohstoffen in der Produktion erhöhen lässt. Gemeinsam mit dem Hamburger Entsorgungsunternehmen Otto Dörner haben wir innovative Recyclingverfahren entwickelt, die es ermöglichen, Abbruch-Porenbeton so aufzubereiten, dass ein qualitativ hochwertiger Sekundärrohstoff entsteht. Nach intensiven Verhandlungen mit der Umweltbehörde in Hamburg ist es uns gelungen, den Abfallstatus zu überwinden und den Produktstatus für diesen Sekundär-Porenbeton zu erhalten. Das gilt allerdings bisher nur für unser Werk in Wedel. Für eine deutschlandweite Zulassung müssten wir mit jedem Bundesland einzeln verhandeln. Eine bundeseinheitliche Lösung würde hier vieles vereinfachen.
Eine weitere Hürde, die dem verstärkten Einsatz von Sekundärrohstoffen entgegensteht, ist die sortenreine Trennung. Wie lässt sich das Problem lösen?
Torsten Schoch: Der Umstieg in die Kreislaufwirtschaft hat fundamentale Auswirkungen auf die Art wie Gebäude geplant, realisiert und betrieben werden. Um die Stoffkreisläufe im Bausektor zu schließen, muss die Verwertbarkeit der verbauten Materialien bereits in den Planungsprozess mit einfließen. Die Planung muss also vom Ende her gedacht werden. Digitale Planungstools wie BIM (Building Information Modeling) helfen dabei, Projekte über den gesamten Lebenszyklus von 80 bis 100 Jahren ressourcenschonend zu optimieren. Das setzt allerdings voraus, dass alle am Bauprozess Beteiligten damit arbeiten. Das ist aber in der kleinteilig strukturierten Bauwirtschaft leider immer noch die Ausnahme und nicht die Regel. Zudem müssen seitens der Politik die rechtlichen und technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Wenn BIM über die gesamte Wertschöpfungskette eingesetzt würde, wäre jedes Gebäude mit einem digitalen Materialpass ausgestattet, was den Rückbau und die Wiederverwendung der verbauten Materialen deutlich erleichtert. Gebäude von heute würden dann zu Materiallagern für Gebäude von morgen.
Die sortenreine Trennung ist das eine, doch wie gelangen die Abbruchmaterialien wieder zurück in den Kreislauf?
Torsten Schoch: Bei Bestandsgebäuden können viele Materialien gar nicht sortenrein getrennt werden, weil sie z. B. verklebt sind. Der Großteil landet in Baumischcontainern und muss mit entsprechender Anlagentechnik aufwendig sortiert und getrennt werden. Das ist nicht nur kostenintensiv, sondern auch eine Verschwendung wertvoller Rohstoffe. Damit sich unsere Kunden die hohen Kosten für die Entsorgung ihrer Baustellenabfälle sparen können, haben wir – wie viele andere Mauersteinhersteller auch – ein Rücknahmesystem etabliert, das sehr gut angenommen wird. Seit 2015 gibt es die sogenannten Big Bags, um Porenbetonreste auf Baustellen sortenrein zu sammeln. Diese werden von uns abgeholt, zurück ins Werk transportiert und dort, zu Granulat oder feinem Mehl verarbeitet, wieder in den Produktionsprozess zurückgeführt. Waren im Einführungsjahr noch 500 Big Bags im Einsatz, sind es mittlerweile rund 5.000.
Bislang machen Recyclingbaustoffe nur 12 Prozent aus. Wie müssen die politischen Weichen gestellt werden, damit sich der Anteil erhöht?
Torsten Schoch: Die größte Hürde besteht darin, dass Recyclingbaustoffe in den meisten Bundesländern rechtlich gesehen immer noch als Abfall gelten. Lediglich in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen haben Recyclingbaustoffe Produktstatus. Um mehr Sekundärrohstoffe für die Herstellung neuer Baustoffe einsetzen können, müssen dringend bundeseinheitliche, rechtsverbindliche Rahmenbedingungen für den Einsatz von Ersatzbaustoffen geschaffen werden. Zudem würde die Akzeptanz von Recyclingmaterialien steigen, wenn die öffentliche Hand in ihrem Bauvorhaben mit gutem Beispiel vorangehen würde. Wie das geht, zeigt die Stadtverwaltung Zürich, die öffentliche Bauaufträge nur dann vergibt, wenn ein bestimmter Anteil an Recyclingbaustoffen verwendet wird. Auch ein reduzierter Mehrwertsteuersatz könnte für einen verstärkten Einsatz von Sekundärbaustoffen sorgen.
2011 wurde Xella als erster Baustoffhersteller mit einem Cradle-to-Cradle Zertifikat ausgezeichnet. Hat ihr Vorbild innerhalb der Baubranche Schule gemacht?
Torsten Schoch: Vor zehn Jahren hatte Cradle-to-Cradle bei weitem noch nicht die Bedeutung, die es heute hat. Die Fridays for Future Bewegung und der Green Deal der EU haben die Themen Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft bei unseren Kunden stärker in den Fokus gerückt. Dadurch hat auch der Cradle-to-Cradle-Ansatz einen enormen Schub bekommen, was ich sehr begrüße. Als international aufgestellter Konzern haben wir natürlich andere finanzielle Möglichkeiten und sind deshalb in der Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen. So betreiben wir z. B. ein eigenes Forschungszentrum, in dem innovative Lösungen für das Bauen von morgen entwickelt werden. Aber auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Kreislaufwirtschaft. Netzwerke wie solidUNIT oder NiM, in denen Partner aus den Bereichen Bauplanung, Bauwirtschaft, Baustoffindustrie, Forschung und Lehre an zukunftsweisenden Projekten arbeiten, zeigen, dass auch kleine Unternehmen gemeinsam mit anderen viel erreichen können. Ich bin mir sicher, dass derartige Kooperationen den Umstieg in die Kreislaufwirtschaft beschleunigen.