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„Statt in großem Maßstab zu denken, verrennen wir uns im Klein-Klein“

Verfehlte Klimaziele im Gebäudesektor, verfehlte Ziele im Wohnungsbau – die Vorgängerregierung hat der neuen Koalition eine schwere Hypothek hinterlassen.

Energetische Sanierungen auf Quartiersebene, typisiertes Bauen mit Mauerwerk, Umwandlung von leerstehenden Büroflächen in Wohnraum – Dietmar Walberg, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V., hat klare Vorstellungen, wie sich Klimaneutralität und Kostenoptimierung im Wohnungsbau miteinander vereinbaren lassen. Foto: Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE//eV)

Im Interview erläutert Dietmar Walberg, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE //eV), warum Klimaneutralität und Kostenoptimierung in großem Maßstab gedacht werden müssen.
 

Herr Walberg, im vergangenen Jahr war der Gebäudebereich der einzige Sektor, der seine Klimaziele nicht erreicht hat. Woran liegt das?
Dietmar Walberg: Das liegt daran, dass sich die angestrebte Klimaneutralität mit der einseitigen Fokussierung auf Energieeffizienz nicht erreichen lässt. In Gebäuden lässt sich Energie nicht beliebig einsparen – auch wenn Marketingversprechen vom Nullenergiehaus etwas anderes suggerieren. Jedes Gebäude braucht Energie, um seine Grundfunktionen zu erfüllen. Und wenn diese Energie, wie es aktuell noch der Fall ist, größtenteils aus fossilen Quellen stammt, wird CO2 ausgestoßen. Einen klimaneutralen Gebäudebestand wird es erst dann geben, wenn die Gebäude komplett mit regenerativer Energie versorgt werden.
 

Laut einer Studie von McKinsey ließe sich der CO2-Ausstoß im Gebäudebereich durch eine „grüne“ Elektrifizierung nahezu vollständig senken. Könnte dies der Game-Changer sein?
Dietmar Walberg: Neben der energetischen Sanierung wird die grüne Elektrifizierung mit Sicherheit eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung des Gebäudebestandes spielen. Da der deutsche Strommix aktuell immer noch zur Hälfe aus fossilen Quellen stammt, wäre es sinnvoll, einen Teil der für die Energieeffizienz vorgesehenen Fördermittel in den Ausbau der erneuerbaren Energien umzulenken. Da auch der Verkehr und die Industrie auf regenerativen Strom und grünen Wasserstoff umgestellt werden, wird sich der Strombedarf nach Ansicht von Energie-Experten bis 2030 von aktuell 545 auf 745 Terawattstunden erhöhen. Wenn man bedenkt, dass die Planung und Genehmigung einer Windkraftanlage derzeit bis zu fünf Jahre dauert, muss die neue Bundesregierung für deutlich mehr Tempo sorgen. Was die grüne Elektrifizierung derzeit noch ausbremst, ist der mit 30 Cent pro Kilowattstunde viel zu teure Strompreis. Quartiersübergreifende Lösungen sind eine gute Möglichkeit, viele Gebäude bereits heute klimaneutral und kostenoptimiert mit Energie zu versorgen. Und dies zu einem Kilowattpreis, der mit 9 bis 12 Cent deutlich unter den normalen Stromkosten liegt.
 

Rund 75 Prozent aller Gebäude haben energetischen Sanierungsbedarf.  Trotzdem verharrt die jährliche Sanierungsquote bei einem Prozent. Woran liegt das?
Dietmar Walberg: Das liegt am aktuellen Förderansatz, der viel zu kleinteilig ist. Bestandsgebäude mit schlechter oder mittelmäßiger Energieeffizienz auf High-End Niveau zu bringen, ist mit Kosten von bis zu 180 Milliarden Euro pro Jahr nicht nur unverhältnismäßig teuer, es geht aufgrund fehlender Handwerker auch nur schleppend voran. Wir müssen bei der energetischen Gebäudesanierung in viel größerem Maßstab denken. Weg von der Einzelförderung und hin zu quartiersüber-greifenden Lösungen, die eine energetische Kompensation zwischen Alt- und Neubauten sowie Gewerbe- und Wohnbauten ermöglichen. Das schafft Synergieeffekte, verringert den Sanierungsaufwand am einzelnen Gebäude und spart Kosten.
 

Viele Architekten und Planer kritisieren, dass die immer höheren Energieeffizienzstandards in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen stehen. Was wäre die Alternative?
Dietmar Walberg: In der Tat, ab einem gewissen Punkt rechnet es sich nicht mehr. Mittlerweile haben wir das Ganze so weit hochgetrieben, dass ein Effizienzhaus 40 Standard die Baukosten um 264 Euro pro Quadratmeter verteuert. Die Alternative wäre eine kluge Klima-Architektur. Statt immer mehr Dämmung und energieintensive Lüftungs- oder gar Klimatisierungstechnik zu verbauen, sollten wir stärker auf technologieoffene CO2-Einsparung und robuste Konstruktionen setzen und zum Beispiel die thermische Speicherfähigkeit mineralischer Baustoffe vermehrt nutzen. So sind Gebäude aus Mauerwerk in der Lage, Hitze im Sommer abzupuffern und Wärme im Winter länger in den Räumen zu halten. Kombiniert mit intelligenten Lüftungskonzepten kann als positiver Nebeneffekt ein reduzierter Heizwärmebedarf erzeugt werden.
 

Anfang Oktober hat das Statistische Bundesamt den stärksten Anstieg der Baupreise seit 51 Jahren vermeldet. Wie kann vor diesem Hintergrund bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden?
Dietmar Walberg: Bezahlbarer Wohnraum beginnt immer mit der Wirtschaftlichkeit der Bauweise. Deshalb kann das typisierte Bauen einen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Problems leisten. In einer Studie zum kostenoptimierten Bauen im Geschosswohnungsbau haben wir untersucht, wie sich individualisiertes, serielles und typisiertes Bauen im direkten Kostenvergleich unterscheiden. Als kostengünstigste Variante erwies sich der typisierte Mauerwerksbau mit 1.950 €/ m2 Wohnfläche – wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. So muss das Projekt mehr als 50 Wohneinheiten umfassen, möglichst wenig projektspezifische Besonderheiten aufweisen und maximal im Effizienzhausstandard 70 errichtet werden. Eine weitere Möglichkeit zur kostengünstigen Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ist die Umnutzung leerstehender Bürogebäude.  Durch den verstärkten Trend zum Homeoffice werden immer weniger Büroflächen benötigt. Bis 2025 könnten auf diese Weise 235.000 Wohnungen entstehen.  Und dies zu Kosten, die zwei Drittel unter denen eines Neubaus liegen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Hebel, an denen man ansetzen kann, um die Baukosten zu senken. Ich war Mitglied der Baukostensenkungskommission, wo wir vor sechs Jahren gemeinsam mit anderen Experten 71 Empfehlungen erarbeitet haben, von denen bislang nur wenig umgesetzt wurde. In dem Papier findet auch die neue Bundesregierung noch viele Anregungen zum kostenoptimierten Bauen.
 

Nehmen wir an, Sie wären der neue Bundesbauminister. Was würden Sie tun, um die Klimaziele zu erreichen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?
Dietmar Walberg: Als Erstes würde ich einen Runden Tisch einrichten, an dem sich alle relevanten Akteure regelmäßig zu den Themen Klimaneutralität, Dekarbonisierung der relevanten Baustoffe und Kostenoptimierung im Wohnungsbau austauschen und konkrete Strategien und Förderprogramme vereinbaren. Parallel dazu würde ich die Förderlandschaft komplett auf den Kopf stellen und statt der Überoptimierung von Einzelgebäuden konkrete CO2-Einsparungen – technologieoffen – am Gebäude und verstärkt Quartierslösungen fördern. Zudem müsste dringend eine Ausbildungsinitiative gestartet werden. Denn derzeit ist jede/r vierte Architekt:in und Ingenieur:in über 55 Jahre alt. Wenn diese in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen, fehlen rund 45.000 Fachkräfte. Noch dramatischer ist die Lage auf den Baustellen, wo in den nächsten zehn Jahren 150.000 Beschäftigte aus dem Berufsleben ausscheiden. Das ist jeder sechste Arbeitnehmer. Um diese Lücke zu schließen, sollten Anwerbeabkommen wie in den 60er Jahren gestartet werden.