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Klimaneutralität ist ein Staffellauf, der nur gemeinsam gewonnen werden kann!

Die Mauerwerksindustrie leistet mit zahlreichen Maßnahmen einen aktiven Beitrag zur Erreichung der Klimaziele. Allerdings kann sie die Klimaneutralität der eigenen Branche nur zu 40 Prozent selbst beeinflussen. Die restlichen 60 Prozent müssen von den vor- und nachgelagerten Akteuren in der Wertschöpfungskette sowie der Politik erbracht werden.

Dr. Hannes Zapf, Vorsitzender der DGfM und erfolgreicher Unternehmer, ist zuversichtlich, dass die Mauerwerksbranche bereits vor 2050 klimaneutral produzieren wird. Foto: DGfM

Um das im Klimaschutzgesetz verankerte Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, müssen die 800 Millionen Tonnen CO2, die Deutschland jährlich ausstößt, auf nahezu null reduziert werden. Voraussetzung dafür sind eine ressourceneffiziente, dekarbonisierte Industrie sowie eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Im Interview erläutert Dr. Hannes Zapf, ehrenamtlicher Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau e.V. (DGfM) und Gesellschafter der auf Kalksandstein spezialisierten Zapf Daigfuss-Gruppe, wie die Mauerwerksindustrie 2050 produzieren wird, welchen Beitrag die CO2-Speicherfähigkeit von Mauersteinen zur Klimaneutralität leisten kann und warum sich Nachhaltigkeit und Bezahlbarkeit nicht ausschließen müssen

Herr Dr. Zapf, Sie sind fest davon überzeugt, dass die Mauerwerksindustrie wesentlich früher als 2050 klimaneutral sein wird. Teilen alle DGfM-Mitglieder Ihre Zuversicht?
Dr. Hannes Zapf: In Sachen Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft, die die zentralen Zukunftsaufgaben für die gesamte Baubranche darstellen, ziehen wir alle an einem Strang. Hersteller und Verarbeiter mineralischer Baustoffe haben sich mit Vertretern aus Wissenschaft und Lehre in Innovationsnetzwerken wie z. B. solid UNIT, Netzwerk innovativer Massivbau Bayern und H2 Süd zusammengeschlossen, um gemeinsam innovative Lösungen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes sowie des Ressourcenverbrauchs zu entwickeln. Die Herstellung klimaneutraler mineralischer Baustoffe sowie der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, die eine hochwertige Weiternutzung nach Abbruch oder Rückbau in Form von Recycling-Baustoffen ermöglicht, sind Herausforderungen, denen sich alle 200 Mauersteinhersteller engagiert stellen. Auch wenn wir unsere Hausaufgaben vorbildlich erfüllen, haben wir die Erreichung der Klimaziele in unsere Branche aber nur zu 40 Prozent in der Hand. Die anderen 60 Prozent müssen von den vor- und nachgelagerten Partnern in der Wertschöpfungskette erbracht werden. Und selbstverständlich ist auch die Politik in der Pflicht. Zum Beispiel bei der Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien, dem zügigen Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur und der Zulassung von Recyclingbaustoffen. Wenn hier nicht zeitnah die benötigten Genehmigungen erteilt werden, scheitern wir auch bei der Umsetzung der CO2-Neutralität in unserem Unternehmen oder müssten stattdessen Greenwashing-Ausgleichszahlungen an internationale CO2-Ausgleichsprojekte leisten – was verlorene Investitionsmittel für Deutschland bedeuten würde.
 

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Wie wird die Mauerwerksproduktion im Jahr 2050 aussehen?
Dr. Hannes Zapf: Der für den Herstellungsprozess benötigte Energiebedarf wird zu 100 Prozent aus regenerativen Energien gedeckt. Grüner Wasserstoff hat fossile Energien als Brennstoff ersetzt. Der Anteil ressourcen- und energieintensiver Rohstoffe wie Zement und Kalk wurde durch verbesserte Rezepturen und neuartige Stoffkombinationen aus recycelten Reststoffen auf ein Minimum reduziert. Durch innovative Weiterentwicklungen der Anlagentechnik konnte die Effizienz der Produktionsprozesse auf ein Maximum erhöht werden. Drohnen beladen eTrucks, die die Mauerwerksprodukte auf die Baustelle transportieren – möglicherweise fahren die LKWs dann schon autonom. Bauarbeiter werden von Robotern unterstützt, wodurch Projekte deutlich schneller und mit weniger Personal fertiggestellt werden können. Jedes Gebäude verfügt über einen Materialpass, der Auskunft über die verbauten Materialien gibt. Am Ende des Lebenszyklus werden Gebäude komplett zurückgebaut. Großformatige Bauteile werden mehrmals wiederverwendet, kleinteilige vollständig recycelt und auch zur Neuproduktion von Mauersteinen wiederverwendet. Die gebaute Umwelt fungiert als Rohstofflager für die Gebäude von morgen. Bauschutt-Deponien gibt es in diesem Szenario übrigens nicht mehr.
 

Mit welchen konkreten Maßnahmen will die Mauerwerksindustrie eine positive Ökobilanz erreichen?
Dr. Hannes Zapf: Mauersteine aus Kalksandstein, Porenbeton und Leichtbeton sind in der Lage CO2 zu speichern, wodurch ein Teil der bei der Produktion emittierten Treibhausgase kompensiert wird. Grund dafür ist die Rückbindefähigkeit der Bindemittel Kalk und Zement für CO2. Je größer die Oberfläche des unverputzten Mauerwerks ist, desto größer die eingelagerte Menge an CO2 über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, der zwischen 60 und über 100 Jahren liegen kann. Deswegen lohnt es sich, möglichst langlebige, wertbeständige Gebäude damit zu errichten. Ich selbst wohne in einem 117 Jahre alten Haus aus Mauerwerk. Die Rückbindefähigkeit von CO2 wird bei der Entwicklung neuer Baustoff-Produkte in Zukunft eine größere Rolle spielen.

Auch durch die vertikale Begrünung von Wandelementen können zusätzliche positive Klimaeffekte erzielt werden. CO2 wird durch die Bepflanzung gebunden, die Luft gefiltert und Temperaturspitzen abgemildert. Im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik hat ein Kalksandsteinhersteller eine „grüne Mauer“ entwickelt, in die Pflanzen integriert werden können. Eine Lösung, an der auch andere Steingattungen arbeiten.

Viele unserer Mitglieder produzieren auf dem eigenen Werksgelände oder den Abbauflächen Solarstrom. An besonders sonnigen Tagen ist der Ertrag höher als der Eigenbedarf. Mit der überschüssigen Energie könnten in Zukunft z.B. Nachbargebäude mit Strom versorgt oder Elektrofahrzeuge „aufgetankt“ werden. Dazu müssten allerdings die hohen regulatorischen Hürden für den Wegfall der EEG-Umlage bei Quartierslösungen und Sektorenkopplung dringend durch die Politik abgebaut werden.

Klimapositiv heißt für uns aber nicht nur, dass wir umweltverträgliche Produkte entwickeln und auf regenerative Energien setzen. Vielmehr wollen wir unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und der Natur mehr zurückgeben als wir ihr nehmen. Bereits heute werden mineralische Abbaugebiete während des Rohstoffabbaus durch Rekultivierung und Renaturierung in hochwertige Biotope mit hoher Artenvielfalt für Flora und Fauna in Zusammenarbeit mit Naturschutzgruppen vor Ort umgewandelt und gepflegt.
 

Die in der Mauerwerksindustrie anfallenden prozessbedingten CO2-Emissionen können mit den aktuell zur Verfügung stehenden Technologien nicht komplett reduziert werden. Muss auch über CO2-Abscheidung bzw. CO2-Speicherung nachgedacht werden?
Dr. Hannes Zapf: Da in unserer Mauersteinproduktion nicht so viel CO2 anfällt, ist dies für uns kein Thema, wohl aber für die vorgelagerten Akteure in der Wertschöpfungskette wie z.B. die Kalk- und Zementhersteller. Da noch ein weiter Weg vor uns liegt, bis regenerative Energien die fossile Energieerzeugung komplett ersetzen können, ist es meines Erachtens sinnvoll, alle technischen Möglichkeiten auszuloten, die dazu beitragen, die Belastung der Atmosphäre mit Treibhausgasen zu reduzieren. In Baden-Württemberg wurde vor kurzem ein Pilotprojekt gestartet, bei dem abgeschiedenes CO2 aus Zementwerken zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe, sogenannter eFuels, genutzt wird. Wenn CO2 nicht nur abgeschieden wird, sondern die Grundlage für klimafreundliche Technologien bildet, hat dies einen doppelt positiven Klimaeffekt, der absolut begrüßenswert ist.
 

Grüner Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger für die Dekarbonisierung CO2-intensiver Branchen. Allerdings ist fraglich, wann die zur Herstellung notwendigen regenerativen Energien in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Wäre grauer Wasserstoff eine denkbare Überbrückungslösung?
Dr. Hannes Zapf: In meinen Unternehmen erzeugen wir den Wasserdampf, den wir zur Herstellung unserer Kalksandsteine benötigen, ausschließlich mit Erdgas. Wir könnten die Emissionen jetzt schon weiter senken, wenn wir dem Erdgas Wasserstoff beimengen könnten oder im Idealfall komplett auf Wasserstoff umstellen würden. Solange die Lieferung und Produktion von grünem Wasserstoff aufgrund unzureichender Kapazitäten nicht möglich sind, sollte die Wasserstoffstrategie technologieoffen gestaltet werden. Als Überbrückungslösung halte ich auch grauen Wasserstoff für eine sinnvolle Option.


Von Branchenexperten wird kritisiert, dass die Nationale Wasserstoffstrategie vor allem Fördermaßnahmen für große Industrieunternehmen vorsieht. Fühlen Sie sich als mittelständischer Unternehmer benachteiligt?
Dr. Hannes Zapf: Nein, ich fühle mich keineswegs benachteiligt. Es gibt auch Förderprogramme für KMUs. Die Politik weiß sehr genau, dass die 3,5 Millionen kleinen und mittelständischen Unternehmen der Innovations- und Technologiemotor der deutschen Wirtschaft sind. Der positive Klimaeffekt der Nationalen Wasserstoffstrategie lässt sich nur in der Breite erzielen. Je mehr Unternehmen die Wasserstofftechnologie nutzen, desto schneller erreichen wir die Klimaziele. Die Politik muss jetzt aber dafür sorgen, dass auch genügend Mittel für diese KMU-Förderprogramme zur Verfügung gestellt werden. Einige sind längst ausgeschöpft, weil die Nachfrage an KMU-Fördermitteln deutlich größer ist als das Angebot.
 

Seit diesem Jahr müssen Mauerwerkshersteller je nach Emissionshöhe CO2-Steuern in nicht unbeträchtlichem Umfang leisten. Wird dies den Umstieg in die CO2-neutrale Produktion beschleunigen oder die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen behindern?
Dr. Hannes Zapf: Da wir vergleichsweise wenig CO2 ausstoßen und regional tätig sind, bedeutet die CO2-Abgabe für die Mauerwerksbranche dieses Jahr eine Mehrbelastung in Höhe von ca. 7 bis 8 Prozent der Herstellkosten. Ich bin mir sicher, dass die Einführung der Steuer den Umstieg auf klimafreundliche Technologien beschleunigen wird. Denn jeder Unternehmer investiert lieber in seinen Betrieb, statt vermeidbare Steuern zu zahlen. So gesehen, hat die Politik in diesem Punkt die richtigen Weichen gestellt. Ganz anders sieht die Lage in energieintensiven, exportorientierten Unternehmen aus. Hier liegt die Belastung bei über 10 Prozent. Wenn es aufgrund der CO2-Steuer zur Verlagerung von Betriebsstätten ins Ausland kommen würde, hätte dies gesamtwirtschaftlich gesehen negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Zudem müssten die eingenommenen Mehrsteuern und Abgaben den Unternehmen über Förderprogramme für CO2-senkende Investitionen zurückerstattet werden. Nur dann funktioniert die Strategie.
 

Im September ist Bundestagswahl. Was muss die neue Bundesregierung aus Ihrer Sicht tun, um den ökologischen Wandel sozialverträglich zu gestalten?
Dr. Hannes Zapf: Um die größtmögliche CO2-Reduktion im Baubereich zu erzielen, müssen die Einspar- und Innovationspotenziale aller Baustoffe ausgeschöpft werden. Die Förderung zukunftsweisender Bauweisen sollte deshalb technologieoffen sein und nachwachsende sowie mineralische Baustoffe gleichermaßen berücksichtigen. Über die Art der Baukonstruktion müssen auch in Zukunft Investoren und Nutzer von Gebäuden ohne politische Einmischung und Quoten entscheiden können. Selbstverständlich muss der ökologische Wandel auch bezahlbar und sozialverträglich gestaltet werden. Auch wenn sich die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie noch nicht in vollem Umfang beziffern lassen, wird es mehr Verlierer als Gewinner geben. Viele Menschen müssen aufgrund von Kurzarbeit Gehalts- und Renteneinbußen hinnehmen, andere werden aufgrund von Insolvenzen vielleicht sogar ihren Arbeitsplatz ganz verlieren. Es ist also zu befürchten, dass mittelfristig noch mehr Haushalte auf eine Sozialwohnung angewiesen sein werden. Vor diesem Hintergrund ist die Förderung des sozialen Wohnungsbaus auf Bundes- und Länderebene eine der wichtigsten politischen Aufgaben. Da bezahlbares Wohnen immer mit preisgünstigem Bauen von langlebigen robusten Gebäuden beginnt, möchten wir als Mauerwerksindustrie weiterhin einen aktiven Beitrag zur Lösung des Wohnraumproblems leisten. Denn Nachhaltigkeit und Bezahlbarkeit müssen keine Gegensätze sein, sie lassen sich mit Mauerwerk sehr wohl unter einen Hut bringen.