„Beim Vergleich der Bauweisen fehlt eine faktenbasierte und technologieoffene Nachhaltigkeitsdiskussion!“
Vor Corona standen die Themen Klimaschutz und bezahlbarer Wohnraum ganz oben auf der politischen Agenda. Auch wenn die Pandemie derzeit wieder an Fahrt gewinnt, dürfen die Themen mit Blick auf die folgenden Generationen nicht in den Hintergrund rücken. Im Interview erläutert Dr. Ronald Rast, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau e.V. (DGfM), warum über Nachhaltigkeit zu einseitig diskutiert wird und bezahlbarer Wohnraum in Zukunft noch wichtiger sein wird.
Herr Dr. Rast, mit welchen Maßnahmen will die Mauerwerksbranche Klimaziele 2050 erreichen?
Dr. Ronald Rast: Mittel- und langfristig sind Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft die zentralen Aufgaben für die gesamte Prozesskette Bau. Hersteller und Verarbeiter mineralischer Baustoffe haben sich mit Vertretern aus Wissenschaft und Lehre in Innovationsnetzwerken wie solid UNIT und H2 Süd zusammengeschlossen, um gemeinsam zukunftsfähige Lösungen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes, des Ressourcenverbrauchs sowie zum Einstieg in lokale Wasserstoffstrategien zu entwickeln. Die Herstellung klimaneutraler mineralischer Baustoffe sowie der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, die eine hochwertige Weiternutzung in Form von Recycling-Baustoffen ermöglicht, sind Herausforderungen, denen wir uns engagiert stellen. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der nationalen Wasserstoffstrategie hat die Politik die richtigen Weichen gestellt.
In der öffentlichen Wahrnehmung gilt Holz als nachhaltigster Baustoff. Als Vertreter der Mauerwerksbranche sehen Sie das natürlich anders. Wie begründen Sie Ihre Kritik?
Dr. Ronald Rast: Die Argumentation, dass Holz ein nachwachsender Rohstoff ist und CO2 speichert, greift einfach zu kurz. Denn zur ökobilanziellen Gesamtbewertung muss der komplette Gebäudelebenszyklus von der Herstellung über die Nutzung bis zum Rückbau betrachtet werden. Mir ist keine Untersuchung bekannt, die zweifelsfrei belegt, dass ein Gebäude in Holzleichtbauweise über den gesamten Lebenszyklus eine bessere CO2-Bilanz aufweist als ein vergleichbares Massivhaus aus mineralischen Baustoffen. Eine aktuelle Studie der Life Cycle Engineering Experts GmbH zeigt hingegen, dass ein typisches Mehrfamilienhaus aus Mauerwerk über einen Lebenszyklus von 80 Jahren bis zu 4 Prozent weniger CO2 verursacht als ein vergleichbares Gebäude in Holzleichtbauweise. Grund dafür ist die längere Lebensdauer des Massivhauses und die Wärmespeicherfähigkeit des Materials, die zu geringeren Energieverbräuchen während der Nutzungsphase führt. Was aus meiner Sicht in der politischen Diskussion fehlt, ist eine faktenbasierte und faire Bewertung von Bauweisen. Das gilt insbesondere, wenn man die Nachhaltigkeit der Gebäude über einen realen Lebenszyklus von mehr als 50 Jahren sowie inklusive Rückbau, Recycling, Wiederwendung und Berücksichtigung der finalen thermischen Entsorgung von Altholz abbildet.
Durch die energetische Nutzung von Altholz werden fossile Brennstoffe eingespart. Das ist doch ein Pluspunkt?
Dr. Ronald Rast:Das mag bis spätestens 2050 ein Pluspunkt sein, danach nicht mehr. Laut Klimaschutzgesetz sind alle Marktakteure verpflichtet, bis 2050 CO2-neutral zu produzieren. Daher ist bei einer erfolgreichen Umsetzung der verabschiedeten Klimaschutzziele bereits ab 2051 davon auszugehen, dass es zu einer völlig neuen ökologischen Bewertung der Baustoffe kommt. Mit Altholz werden dann keine fossilen Brennstoffe mehr eingespart und dieses Bonus-Argument entfällt. Die mit grüner Energie hergestellten mineralischen Baustoffe tragen dann keine graue Energie mehr in die Baukonstruktionen der Gebäude ein. Bei ihrer Herstellung wird kein CO2 mehr an die Luft abgegeben und kann auch nicht mehr durch die Verwendung von Bauholz substituiert werden. Der vermeintliche Vorteil von Holz wird also spätestens 2051 zum Nachteil. Dann müssen sich die nachfolgenden Generationen Gedanken machen, wie sie mit dem in Holzgebäuden gespeicherten CO2 umgehen? Wo bleibt die politische Forderung nach einem Recycling-Konzept für Holz? Die thermische Verwertung kann ebenso wenig die Lösung sein wie die Kompostierung des biogenen Materials.
Um nachhaltige Bauweisen zu fördern, wird aktuell die Einführung eine Holzbauquote diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
Dr. Ronald Rast: Ich sehe den staatlichen Eingriff in einer auf freiem Wettbewerb basierenden Wirtschaft äußerst kritisch. Staatliche Subventionierung löst keine Probleme, sie schafft eher neue. Ich plädiere für einen fairen, technologieoffenen Wettbewerb aller Bauweisen. Für manche Projekte mag Holz die richtige Wahl sein, für andere Mauerwerk oder Beton. Die Entscheidung sollte allerdings den Fachleuten, sprich Architekten und Bauherren überlassen bleiben und nicht per Dekret verordnet werden. Und eine andere Frage stellt sich in diesem Zusammenhang: Wenn der Bedarf an Bauholz durch eine staatlich mitgetragene Quotenregelung drastisch ansteigt, wo soll das Holz dann eigentlich herkommen? Durch Klimaschäden, Trockenheit und vor allem Insektenbefall besteht nach Einschätzung von Experten schon heute die Gefahr, dass in deutschen Wäldern über 500 Millionen Festmeter Schadholz entstehen könnten. Das wären etwa 7 durchschnittliche Holzjahresernten. Destatis brachte vor wenigen Tagen die Meldung, dass in 2019 jeder zweite gefällte Baum geschädigt war. Was soll mit diesem Holz geschehen – soll es wirklich mit verbaut werden? Stellt sich umweltpolitisch nicht vielmehr die Frage, wie wir das Ökosystem Wald als CO2-Speicher erhalten können? Staatliche Mittel für die Waldbereinigung und Wiederaufforstung wären hier eher im gesellschaftlichen Interesse. Denn es mehren sich die wissenschaftlichen Stimmen, nach denen unser Wald dringend eine Ruhepause braucht. Und es gibt noch einen sehr wichtigen weiteren Aspekt. Würde durch die einseitige staatliche Förderung des Holzbaus bis zur Einführung von Holzbauquoten eine signifikante Erhöhung der Holzbauanteile erfolgen, z.B. im Wohnungsbau von heute 11,5 Prozent auf geforderte 50 Prozent bis zum Jahr 2050, wären dafür volkswirtschaftlich relevante Investitionen in die Produktions- und Verarbeitungskapazitäten des Holzbaus erforderlich und vorhandene Kapazitäten im Massivbau müssten zugleich dafür abgebaut werden. Können dann durch den fortschreitenden Klimawandel aus unseren geschädigten Wäldern die dafür benötigten Mengen an Holz doch nicht mehr nachhaltig bereitgestellt werden, entsteht ein volkswirtschaftlich gigantischer Schaden – welcher Politiker will dafür die Verantwortung übernehmen?
Nachhaltigkeit ist weit mehr als Ökologie. Werden die ökonomischen und sozialen Aspekte durch die Corona-Krise an Bedeutung gewinnen?
Dr. Ronald Rast: Ja, die Wirtschaftlichkeit von Bauweisen wird in Zukunft eine noch größere Rolle spielen. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Ballungsgebieten war schon vor Corona das bestimmende Thema. Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation ist zu befürchten, dass mittelfristig noch mehr Haushalte auf eine Sozialwohnung angewiesen sein werden. Die Politik wäre gut beraten, kurz- und mittelfristig wirksame Maßnahme auf den Weg zu bringen, die den bedarfsgerechten Bau von bezahlbarem Wohnraum über die laufende Legislaturperiode hinaus fördern. Neben der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen und der Bereitstellung von kostengünstigem Bauland denke ich hier auch an die Förderung kostenoptimierter Bauweisen. Denn bezahlbares Wohnen beginnt mit der Wirtschaftlichkeit der Bauweise. Eine Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE//eV) zum kostenoptimierten Bauen hat gezeigt, dass Mauerwerk zwischen 10 und 20 Prozent günstiger ist als andere Konstruktionsarten auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist. Der Preisvorteil in Kombination mit hervorragenden Brand-, Schall- und Wärmeschutzeigenschaften machen den Mauerwerksbau zur favorisierten Konstruktionsart im Wohnungsbau – über 70 Prozent aller Wohnungsbauten in Deutschland werden mit Mauerwerksprodukten errichtet.
Wenn mehr preisgünstiger Wohnraum benötigt wird, dürfte die Nachfrage nach Wohneigentum sinken?
Dr. Ronald Rast: Das ist zu befürchten und wäre fatal. Denn Wohneigentum ist der beste Schutz vor Mieterhöhung und Altersarmut. Aber wer bedingt durch die Corona-Krise in eine unsichere Zukunft blickt, wird finanzielle Entscheidungen in dieser Größenordnung überdenken, verschieben oder sogar komplett infrage stellen. Weil uns Corona andererseits auch deutlich vor Augen geführt hat, wie wichtig die eigenen vier Wände in Krisenzeiten sind, sollte die Politik Rahmenbedingungen schaffen, die auch Familien mit mittleren Einkommen zur Wohneigentumsbildung ermutigen. Ich denke hier an die im Koalitionsvertrag angekündigten, aber noch nicht umgesetzten Bürgschaftsprogramme, verbesserte Langzeitkredite der KfW zum Erwerb eines kleinen Eigentums mit Wohnflächenbegrenzung, die Einrichtung eines Sicherheitsfonds nach niederländischem Vorbild, eine Neuauflage bzw. Weiterführung des Baukindergelds sowie die Abschaffung der Grunderwerbssteuer für selbstgenutztes Wohneigentum.
Mit einem Umsatzrückgang von 2 Prozent ist die Baubranche bislang erstaunlich gut durch die Krise gekommen. Rechnen Sie damit, dass das so bleibt?
Dr. Ronald Rast: Das hängt in erster Linie davon ab, ob uns ein zweiter Lock-Down erspart bleibt. Viele meiner Branchenkollegen rechnen für den Baubereich mit einer azyklischen Konjunkturentwicklung. Wenn es in anderen Wirtschaftsbereichen durch die eingetretene Normalisierung und die diversen staatlichen Fördermaßnahmen wieder aufwärts geht, könnte es im Baubereich durch verzögerte Genehmigungsprozesse während der Corona-Krise und die Verunsicherung von privaten und institutionellen Investoren mittel- bis langfristig zu einer
Konjunkturabschwächung kommen. Dem sollte in jedem Fall durch weitere geeignete Maßnahmen entgegengewirkt werden, damit der Baubereich einen wirksamen Beitrag zur Konjunkturstabilisierung sowie zur Lösung der sozialen Frage Wohnen leisten kann.