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Forschungskooperation zwischen DAfM und PRB

Der Deutsche Ausschuss für Mauerwerk e. V. (DAfM) und die Initiative Praxisgerechte Regelwerke im Bauwesen (PRB) haben eine Forschungskooperation beschlossen.

1 Ausgangssituation

Bereits seit einiger Zeit befassen sich die europäischen und nationalen Normungsgremien mit dem „Systematic Review“ der Eurocodes. Auch wenn der europäische Zeitplan die bauaufsichtliche Einführung der 2. Eurocode- Generation erst für das Jahr 2027/2028 vorsieht, ist die Überarbeitung des Eurocodes 6 bereits weit fortgeschritten. Bei der für den Mauerwerksbau relevanten Bemessungsnorm steht der Teil 1-1 kurz vor der finalen Abstimmung zur Annahme der überarbeiteten Fassung und auch der Teil 3 befindet sich bereits in der sogenannten „Enquiry“-Phase. Die beiden anderen Teile 1-2 und 2 liegen als finaler Entwurf des Projekt-Teams vor.

Vor diesem Hintergrund der Überarbeitung in Europa und der später sich anschließenden bauaufsichtlichen Einführung in Deutschland hat die Initiative Praxisgerechte Regelwerke im Bauwesen e. V. (PRB) einen Forschungsantrag beim Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) eingereicht, um diesen Prozess begleiten sowie konkret Einfluss auf die Gestaltung der zukünftigen Bemessungsnormen nehmen zu können. Ziel dabei ist es, die Eurocodes auch zukünftig als verständliches, anwenderfreundliches und praxisgerechtes Normenwerk zu erhalten und einer unnötigen Aufblähung oder Komplexität entgegenzuwirken. Gegenstand dieses Forschungsvorhabens sind alle Eurocodes mit Ausnahme des EC 8 und des EC 9.

Zur Bearbeitung des Forschungsvorhabens und zur Erreichung der Ziele in Europa ist naturgemäß eine Vielzahl an Forschern eingebunden, die innerhalb der PRB in Eurocode- spezifischen Projektgruppen organisiert sind. Zur Abdeckung des Mauerwerksbaus ist nun eine Kooperation zwischen PRB und dem Deutschen Ausschuss für Mauerwerk e. V. (DAfM) zustande gekommen, bei welcher der DAfM die Initiative PRB bei der Bearbeitung des Forschungsvorhabens im Teilbereich „Mauerwerksbau“ unterstützt und mit seinen Experten, den auch in der (europäischen) Normung aktiven Mitgliedern, die Projektgruppe 5 „Mauerwerksbau“ besetzt.
 

2 Forschungsschwerpunkte

2.1 Allgemeines

Im Rahmen des Forschungsvorhabens sollen die Neufassungen der Eurocodes u. a. hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit und Eignung für die Anwendung in Deutschland überprüft werden.

Neben der Einflussnahme auf die Eurocodes im Rahmen des europäischen Normungsprozesses ist darüber hinaus auch die Vorbereitung der bauaufsichtlichen Einführung Gegenstand der Untersuchung. Hierbei gilt es zu bewerten, inwieweit die europäisch abgestimmten Regeln tatsächlich den deutschen Interessen entsprechen oder ob vor der bauaufsichtlichen Einführung national weiterer Handlungsbedarf besteht. In diesem Fall sind Vorschläge zu erarbeiten, wie mit diesen Problemfällen umgegangen werden soll.

Für den Mauerwerksbau wurden seitens der Projektgruppe 5 vier Forschungsthemen identifiziert, auf welche infolge der Überarbeitung des Eurocodes 6 vor der bauaufsichtlichen Einführung besonderes Augenmerk zu richten ist und die im Rahmen des DIBt-Vorhabens bearbeitet werden sollen. Diese sind:

  • Kompatibilität zwischen Eurocode 6 und den zugehörigen Produktnormen
  • Stabilitätsnachweis nach FprEN 1996-1-1, Anhang F
  • Normalkrafttragfähigkeit nach prEN 1996-3
  • Vereinfachter Aussteifungsnachweis nach prEN 1996-3, Anhang A
     

2.2 Kompatibilität zwischen Eurocode 6 und den zugehörigen Produktnormen

Ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtvorhabens ist die Bewertung der Schnittstellen zwischen Bemessungs-, Ausführungs- und Produktnormen. Hierbei ist beispielsweise zu überprüfen, inwieweit die für die Bemessung relevanten Produkteigenschaften und -anforderungen von den Produktnormen korrekt geregelt werden. Auch ist zu ermitteln, ob die in der Bemessung anzusetzenden Modellungenauigkeiten und Imperfektionen mit den in den Ausführungsnormen festgelegten Toleranzen und Maßabweichungen übereinstimmen.

Bisher wird im Mauerwerksbau dieser Problematik durch die zusätzliche Beachtung der nationalen Anwendungsnormen der Reihe DIN 20000 Teil 401 bis 404 und 412 begegnet. Diese enthalten zusätzliche Anforderungen für die Verwendung der in den Produktnormen geregelten Bauprodukte (Mauersteine und Mauermörtel). Dieses Konzept hat sich in den vergangenen Jahren bewährt. Daher ist im Rahmen dieses Teilprojekts zu prüfen, inwieweit mit der neuen Normengeneration weiterhin Differenzen an den Schnittstellen auftreten und, falls ja, ob diese weiterhin elegant über die Anwendungsnormen ggf. in adjustierter Form gelöst werden können.
 

2.3 Stabilitätsnachweis nach FprEN 1996-1-1, Anhang F

Im zur finalen Abstimmung eingereichten Schlussentwurf des Teil 1-1 von Eurocode 6, der FprEN 1996-1-1, ist in Anhang F eine gänzlich neue Berechnungsvorschrift zur Bestimmung desjenigen Abminderungsbeiwertes, welcher beim Nachweis der Tragfähigkeit in Wandhöhenmitte den Schlankheitseinfluss berücksichtigt und damit den Stabilitätsnachweis abbildet, enthalten. Gleichzeitig sieht der Schlussentwurf vor, auf eine Berücksichtigung von Kriecheffekten im Nachweis gänzlich zu verzichten. Im Vergleich zur aktuellen in Deutschland gültigen Ausgabe DIN EN 1996-1-1/NA führt dies zwar zu einer anwenderfreundlicheren Bemessung, es muss jedoch sichergestellt sein, dass die Auswirkungen des Kriechens auf die Tragfähigkeit durch die Nachweismethodik integral erfasst sind, um kein verstecktes Sicherheitsrisiko einzugehen. Abgesehen davon führt der neue Berechnungsansatz in vielen Fällen sogar zu einer Tragfähigkeitserhöhung gegenüber DIN EN 1996-1-1/NA.

Aus Sicht der Bauaufsicht ist daher vor einer normativen Einführung von FprEN 1996-1-1 zu prüfen, inwieweit die neue Berechnungsvorschrift nach Anhang F das Tragverhalten schlanker Mauerwerkswände auch unter Berücksichtigung des Kriecheinflusses korrekt abbildet und ob die höheren Tragfähigkeiten gerechtfertigt sind. Hierzu sind diverse Vergleichsrechnungen anzustellen, die das tatsächliche Tragverhalten den rechnerischen Tragfähigkeiten gegenüberstellen. Anhand dieser Ergebnisse lässt sich schließlich bewerten, ob der neue Berechnungsansatz in Deutschland unverändert übernommen werden kann oder eine Adjustierung notwendig ist. Sollte das der Fall sein, ist nach Möglichkeit ein Vorschlag zur Anpassung der Bestimmungsgleichung zu entwickeln.
 

2.4 Normalkrafttragfähigkeit nach prEN 1996-3

Auch bei den vereinfachten Berechnungsmethoden nach Teil 3 des Eurocodes 6 zeichnen sich wesentliche Veränderungen gegenüber der bisherigen Ausgabe ab. Insbesondere wird sich der Nachweis der Tragfähigkeit unter überwiegender Normalkraftbeanspruchung an Wandkopf und Wandfuß im Neuentwurf prEN 1996-3 gegenüber den bisher in Deutschland gültigen Regelungen deutlich verändern, da die Einführung einer weiteren Gleichung zur Bestimmung des Abminderungsfaktors vorgesehen ist. Dies führt vor allem bei Außenwänden und insbesondere bei einschaligem Mauerwerk mit verringerter Deckenauflagertiefe zu geänderten Tragfähigkeiten. Gleichzeitig wurde der Anwendungsbereich von prEN 1996-3 gegenüber dem in DIN EN 1996-3/NA:2020-12 z. T. deutlich erweitert.

Prämisse bei der Überarbeitung des Eurocodes 6 war und ist, dass die Tragfähigkeit der vereinfachten Berechnungsmethoden nach Teil 3 stets auf der sicheren Seite gegenüber jenen Tragfähigkeiten nach den Allgemeinen Regeln gemäß Teil 1-1 sein müssen. Hierzu wurden im Rahmen des „Systematic Review“ zahlreiche Vergleichsrechnungen zwischen Teil 1-1 und Teil 3 durchgeführt, die jedoch ausschließlich auf den europäischen Normenentwürfen ohne Berücksichtigung eines Nationalen Anhangs basieren. Da aus Sicht der Bauaufsicht jedoch auch die in Deutschland gültigen Tragfähigkeiten nach Teil 3 konservativ gegenüber einer Bemessung nach DIN EN 1996-1-1/NA sein müssen, ist vor der bauaufsichtlichen Einführung des Eurocodes 6 zu prüfen, inwieweit die europäischen Regeln auch unter Einbezug der national festzulegenden Parameter eine wirtschaftliche Bemessung auf der sicheren Seite ermöglichen. Der Wirtschaftlichkeit kommt dabei ebenfalls eine große Bedeutung zu. Aufgrund der Möglichkeit der relativ schnellen, anwenderfreundlichen und effizienten Bemessung erfreuen sich die vereinfachten Berechnungsmethoden nach Teil 3 in der Praxis großer Beliebtheit und werden für die überwiegende Mehrheit der Bemessungsfälle von Mauerwerksgebäuden angewandt. Um dies auch in Zukunft zu ermöglichen, ist sicherzustellen, dass die vereinfachte Bemessung nach DIN EN 1996-3/NA weiterhin nicht zu weit auf der sicheren Seite liegt.

Zur Bewertung der „neuen“ Tragfähigkeiten ist somit eine Vielzahl an Vergleichsrechnungen durchzuführen. Dazu werden in dem Forschungsvorhaben die Tragfähigkeiten von Mauerwerk nach den Allgemeinen Regeln gemäß FprEN 1996-1-1 (unter Einbezug der nationalen Regeln) und nach den vereinfachten Berechnungsmethoden gemäß prEN 1996-3 sowie gemäß der aktuell gültigen DIN EN 1996-3/NA:2019-12 für alle in Deutschland üblichen und praxisrelevanten Parameterkombinationen berechnet und einander gegenübergestellt. Anhand der Ergebnisse ist zum einen zu bewerten, inwieweit die bisher in Deutschland zulässigen Tragfähigkeiten auch mit der neuen Normengeneration weiterhin nachweisbar sind. Zum anderen ist zu evaluieren, ob die Tragfähigkeiten nach prEN 1996-3/NA auf der sicheren Seite gegenüber einer Bemessung nach Teil 1-1 liegen. Nach Identifizierung derjenigen Fälle, in denen die Tragfähigkeiten nach prEN 1996-3 die bisherigen Werte unterschreiten oder die Tragfähigkeiten nach Teil 1-1 überschreiten, ist für diese Fälle eine Empfehlung abzuleiten, wie mit diesem Sachverhalt im deutschen Nationalen Anhang umzugehen ist.
 

2.5 Vereinfachter Aussteifungsnachweis nach prEN 1996-3, Anhang A

Nach DIN EN 1996-3/NA ist derzeit kein expliziter Nachweis der Aussteifung notwendig, sofern das Gebäude durch eine „ausreichende Anzahl genügend langer Wände, die ohne Versprünge oder Öffnungen bis auf die Fundamente durchgehen, offensichtlich ausgesteift ist“. Diese Entscheidung basiert nicht auf einem rechnerischen Nachweis, sondern obliegt allein der Einschätzung des Tragwerksplaners auf Erfahrungsbasis. Häufig wünscht sich der Praktiker jedoch ein einfaches Handrechenverfahren, um in Zweifelsfällen die Aussteifung überprüfen zu können.

In prEN 1996-3 ist nun ein überarbeiteter Vorschlag zum vereinfachten Nachweis der Gebäudeaussteifung enthalten (siehe auch [1, 2]). Im Gegensatz zur früheren Fassung dieses Nachweises, welcher in Deutschland jedoch nicht angewendet werden darf, berücksichtigt der neue Vorschlag neben der Biegetragfähigkeit nun auch den Querkraftwiderstand der aussteifenden Wandscheiben. Da das Verfahren im europäischen Normungsprozess an den Regeln zur Biege- und Querkraftbemessung nach FprEN 1996-1-1 ohne Berücksichtigung nationaler Anhänge kalibriert wurde, ist vor der bauaufsichtlichen Einführung zu überprüfen, inwieweit dieses Verfahren mit den in Deutschland gültigen Tragfähigkeiten übereinstimmende Ergebnisse liefert. Anhand dessen ist zu bewerten, ob der vorgeschlagene vereinfachte Aussteifungsnachweis eine sichere Bemessung ermöglicht oder nationale Anpassungen erforderlich sind. […]

Je nach Ergebnis der […] Untersuchungen wird nach Möglichkeit ein Vorschlag zur Anpassung der im Verfahren angegebenen Faktoren unterbreitet und abschließend eine Empfehlung gegeben, unter welchen Randbedingungen der informative Anhang bauaufsichtlich eingeführt werden kann.

 

3 Schlussbemerkung

Die zu erwartenden Erkenntnisse aus der Forschungskooperation leisten einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung einer leistungsstarken, anwenderfreundlichen und zugleich sicheren neuen Normengeneration im Mauerwerksbau. Der DAfM freut sich sehr, bei dem Forschungsvorhaben unterstützen und die Erarbeitung der zukünftigen Bemessungsregeln auf diesem Weg begleiten zu können.


Literatur

[1] Graubner, C.-A.; Müller, D. (2019) Simplified verification method for unreinforced masonry shear walls. Mauerwerk 23, H. 5, S. 300–305.

[2] Förster, V.; Purkert, B.; Graubner, C.-A. (2021) Hilfsmittel zur vereinfachten Mauerwerksbemessung in: Schermer, D.; Brehm, E. [Hrsg.] Mauerwerk-Kalender 2021. Berlin: Ernst & Sohn, S. 301–328.

Quelle: Dieser Bericht ist in der Zeitschrift Mauerwerk Heft 3/2022 erschienen.